Mittwoch, 17. Juli 2013

Werkschau: Die Filme von Stanley Kubrick (Teil 2)

Aufgrund meiner Master-Arbeit hatte ich in den letzten Monaten leider keine Zeit, mich um meinen Blog zu kümmern. Jetzt ist diese Hürde jedoch überwunden und daher gibt es heute endlich die zweite Hälfte der Werkschau zu den Filmen von Stanley Kubrick.

➡ Werkschau: Die Filme von Stanley Kubrick (Teil 1)

2001: Odyssee im Weltraum (1968)

Eine Gruppe von Vormenschen lebt in der Nähe eines Wasserloches. Sie ernähren sich rein vegetarisch und leben in Frieden, bis eines Tages einer von ihnen eine folgenreiche Entdeckung macht....
Ein paar Millionen Jahre später reist Dr. Heywood Floyd (William Sylvester) mit einem Raumschiff zum Mond. Nach offiziellen Berichten ist eine Mondkolonie unter Quarantäne gesetzt worden, nachdem dort eine ansteckende Krankheit ausgebrochen ist. Was wirklich auf dem Mond geschehen ist, unterliegt strengster Geheimhaltung...
Das Raumschiff Discovery macht sich einige Monate nach den Ereignissen auf dem Erdtrabanten auf eine geheimen Mission zum Jupiter. Die Astronauten David Bowman (Keir Dullea) und Frank Poole (Gary Lockwood) wissen nichts über den Grund ihrer Reise und sehen sich bald mit einer Fehlfunktion ihres Bordcomputers HAL 9000 konfrontiert...

2001: A Space Odyssey gilt als einer der besten Science-Fiction-Filme aller Zeiten und ist gleichzeitig einer der ungewöhnlichsten. Ein großer Teil des Films kommt völlig ohne Dialoge aus, im Vordergrund steht vor allem ein symbolträchtiges Zusammenspiel von beeindruckenden Bildern und klassischer Musik. Es gibt nur wenig Handlung und doch unterliegt dem Film bis zum Schluss eine unvergleichliche Spannung, da Kubrick sich strikt weigert, das Geheimnis, das alle drei Geschichten verbindet, erschöpfend zu erklären. Die Frage, ob wir alleine im Weltall sind, wird deutlich verneint und dennoch gibt es in diesem Film keinen einzigen Außerirdischen zu sehen. Lediglich im letzten Viertel nehmen die Abstraktionen und die Symbolik ein wenig Überhand, aber insgesamt ist 2001 ein betörendes und ohne Frage Kubricks künstlerisch anspruchsvollstes Werk.


Uhrwerk Orange (1971)

Malcolm McDowell (2011)
London in einer nahen Zukunft. Der jugendliche Alex (Malcolm McDowell) und seine Droogs verbringen ihre Zeit mit Drogen und Gewalt. Sie prügeln sich mit verfeindeten Gangs, schlagen einen Obdachlosen zusammen und zwingen einen Schriftsteller bei der Vergewaltigung seiner Frau zuzuschauen. Eines Tages landet Alex jedoch durch den Verrat seiner Freunde wegen Mordes im Gefängnis und hört dort von einer neuartigen Therapie, die es ihm ermöglichen könnte, schon bald wieder ein ‚freier‘ Mensch zu sein...

Filme mit gewalttätigen Protagonisten müssen sich häufig den Vorwurf gefallen lassen, revisionistische Standpunkte zu vertreten, indem sie Gewalt als ein Mittel darstellen, das notwendig ist, um gegen das Böse zu siegen. A Clockwork Orange hingegen zeigt mit Alex einen Menschen, der selbst das Böse zu repräsentieren scheint: Seine Gewalt ist vollkommen zwecklos, sie dient lediglich seiner eigenen Belustigung in einer Zukunft, die durch Hoffnungslosigkeit und Tristesse geprägt ist. Es wird dem Zuschauer unmöglich gemacht, Alex' Handeln in irgendeiner Weise zu rechtfertigen und dennoch ist uns dieser Protagonist durch seine Intelligenz und seine Liebe zu Klassischer Musik seltsam sympathisch. Die fortlaufende Handlung vergrößert dieses Dilemma noch weiter: Denn so grausam Alex' Taten auch sind, erweisen sie sich bald als das geringere Übel zu einer Form der Konditionierung, die an Unmenschlichkeit kaum zu überbieten ist.
Eine unbequeme Satire, die konsequent auf den moralischen Zeigefinger verzichtet und den Zuschauer zwingt, sich seine eigenen Gedanken zu machen. Unterstützt durch großartige elektronische Musik, ein stilvolles Bühnenbild und die gewohnt beeindruckende Kameraarbeit gelingt Kubrick mit Uhrwerk Orange ein Meisterwerk der Filmgeschichte.


Barry Lyndon (1975)

Irland im 18. Jahrundert. Der Landadelige Redmond Barry (Ryan O'Neal) gewinnt ein Duell gegen einen britischen Offizier und muss flüchten, um den strafrechtlichen Konsequenzen zu entgehen. Es beginnt eine Reise durch Europa, bei der Barry im Siebenjährigen Krieg dient, als Spion für die Preußische Armee arbeitet, der gute Freund eines adeligen Falschspielers wird und schließlich die schöne und wohlhabende Lady Lyndon heiratet. Barry scheint es geschafft zu haben, doch wer hoch aufsteigt, der kann auch tief fallen...

Nach zwei Werken, die sich mit der Zukunft beschäftigten entschied sich Kubrick, eine Reise in die Vergangenheit anzutreten und drehte so seinen ersten Historienfilm seit Spartacus. Barry Lyndon ist vor allem durch seine Bilder berühmt geworden. Denn nicht nur durch Musik, Kostüme und Schauplätze lässt Kubrick das 18. Jahrhundert wiederauferstehen, auch die Bildkompositionen werden dem Thema gerecht, da sie durch Gemälde aus dieser Epoche beeinflusst sind. So ist der Film insgesamt ein ästhetisch sehr reizvolles Filmerlebnis. Leider wird die erzählte Geschichte hierbei fast zur Nebensache. Wenn auch einige Szenen eine emotionale hohe Intensität hervorbringen können, wird insgesamt beinahe völlig auf das Aufbauen von Spannung verzichtet, was zusammen mit der dreistündigen Laufzeit die Geduld des Zuschauers doch ziemlich stark in Anspruch nimmt.


Shining (1980)

Der erfolglose Autor Jack Torrance (Jack Nicholson) bekommt eine Tätigkeit als Hausmeister in einem Hotel in den Bergen angeboten. Über die Wintermonate ist das Hotel geschlossen und seine Aufgabe ist es, lediglich darauf zu achten, dass die Heizungen nicht ausfallen. Jack nimmt an und zieht mit seiner Familie ins Overlook-Hotel. Doch die Einsamkeit an dem abgelegenen Ort ist nicht jedermanns Sache: Schon etwa zehn Jahre zuvor hatte ein Hausmeister in dem Hotel seine Familie mit einer Axt erschlagen...

Stanley Kubricks erster und einziger Ausflug in das Horror-Genre entfernt sich relativ weit von Stephen Kings Buchvorlage, kann aber dennoch überzeugen. Es ist beeindruckend, wie Kubrick es schafft, mit nur wenig Gewaltdarstellungen und dem Verzicht auf das für das Genre so typische Spiel mit der Dunkelheit konstant eine bedrohliche Atmosphäre zu halten. Die berühmten Steadicam-Fahrten durch die menschenleeren Flure des Hotels (das freischwebende Kamerasystem war erst einige Jahre zuvor von Garret Brown entwickelt worden) sind hierfür ebenso maßgeblich wie die schauderhafte elektronische Filmmmusik von Wendy Carlos, die bereits bei Uhrwerk Orange mit Kubrick zusammengearbeitet hatte. Aber auch aus den Schauspielern holte Kubrick alles heraus, was in ihnen steckte: Selten kann man eine so überzeugende Darstellung von hysterischer Panik auf dem Bildschirm betrachten, wie sie Shelley Duvall als Jacks Frau Wendy hier abliefert. Ein weiteres Meisterwek, dessen Bilder, wie die geisterhaften Zwillinge und die aus einem Fahrstuhl kommende Welle von Blut, in die Filmgeschichte eingegangen sind. Und schon wie in 2001 bleibt vieles in diesem Film unerklärt. Sowohl der Monolith als auch das Overlook-Hotel sind bewusste Leerstellen, die der Zuschauer mit seinen eigenen Interpretationen füllen muss.


Full Metal Jacket (1987)

Matthew Modine (2008)
'Private Joker' (Matthew Modine) hat sich entschieden, ein Marine zu werden und muss auf Parris Island die unmenschliche Ausbildung des Drill-Seargents Hartman (R. Lee Ermey) über sich ergehen lassen. Während Joker bald zum Gruppenführer ernannt wird, bricht der übergewichtige Private Pyle (Vincent D'Onofrio) unter der psychischen Belastung des Drills zusammen. Als Joker schließlich nach Vietnam geschickt wird, ist er hin- und hergerissen zwischen seiner kritischen Einstellung gegenüber dem Krieg und seiner Freude darüber, endlich kämpfen zu dürfen...

Nachdem Wege zum Ruhm ein deutlicher Anti-Kriegsfilm war, hatte Kubrick den Wunsch, einen weiteren Film über dieses Thema zu machen, der sich jedoch eines moralischen Urteils über die gezeigten Geschehnisse enthält und Ausbildung und Krieg so zeigt, wie sie tatsächlich sind. Im Mittelpunkt steht hierbei die innere Entwicklung des Protagonisten Joker, der zu einem Killer ausgebildet wurde, und dennoch versucht, sich seine Menschlichkeit zu bewahren. Durch das hervorragende Set-Design, die intensiven Steadicam-Fahrten, tolle Schauspieler und den Verzicht auf den moralischen Zeigefinger gelingt Kubrick einer der besten Kriegsfilme aller Zeiten.


Eyes Wide Shut (1999)

Der erfolgreiche New Yorker Arzt Bill Harford (Tom Cruise) und seine Frau Alice (Nicole Kidman) haben einen Streit, bei dem Alice Bill eröffnet, in einem gemeinsamen Urlaub mit dem Gedanken gespielt zu haben, fremdzugehen. Bill ist erschüttert, wird dann aber zu einem Hausbesuch gerufen, da einer seiner langjährigen Patienten gestorben ist. Es folgt eine traumhafte nächtliche Odyssee durch New York, in der sich Bill viele Möglichkeiten zu bieten scheinen, seinerseits seine erotischen Phantasien auszuleben...

Passiert das alles wirklich, was Kubrick uns in diesem Film zeigt, oder entspringen Bills nächtliche Erlebnisse lediglich seiner Fantasie? Eine eindeutige Antwort auf diese Frage gibt es nicht und für den Genuss des Films ist sie auch nicht besonders wichtig. Die Verfilmung der Traumnovelle von Arthur Schnitzler hält sich trotz der Verlegung der Handlung vom Wien des beginnenden zum New York des ausgehenden 20. Jahrhunderts relativ nah an ihre Vorlage. Dies führt vielleicht auch dazu, dass der Film ein wenig altmodisch daherkommt und deshalb von vielen Kritikern als eines von Kubricks weniger gelungenen Werken gesehen wird. Dennoch ist Eyes Wide Shut ein interessanter, spannender und auch stellenweise recht humorvoller Film über die sexuellen Obsessionen seiner Protagonisten und ein würdiger Abschluss für das Lebenswerk Kubricks, der kurz nach der Fertigstellung der finalen Schnittfassung im Alter von 70 Jahren verstarb.


Die Filme von Stanley Kubrick wurden zur Zeit ihrer Veröffentlichung nicht immer wohlwollend von Presse und Publikum aufgenommen. Rückblickend lässt sich jedoch erkennen, dass es sich bei Kubrick um einen der wichtigsten Filmemacher des 20. Jahrhunderts handelt. Kaum ein anderer Regisseur hat mit so vielen unterschiedlichen Genres gearbeitet und dabei Werke geschaffen, die sich immer deutlich von der Masse abhoben, ohne je unzugänglich zu werden. Und auch wenn mir nicht jeder Film von Stanley Kubrick gleich gut gefallen hat, sind sie doch alle äußerst sehenswert und sollten von keinem Filmfan links liegen gelassen werden.

Literaturtipp:
Georg Seeßlen / Fernand Jung: Stanley Kubrick und seine Filme, Schüren-Verlag 2008

Urheber des Bildes von Malcolm McDowell ist Georges Biard. Urheber des Bildes von Metthew Modine ist David Shankbone. Beide Fotos stehen unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported (CC BY-SA 3.0).